650B - Quo Vadis?
Skeptik zu Beginn bei 650B
Zugegeben, ich war schon am Anfang gegenüber 650B äußerst skeptisch, siehe dazu den anderen Artikel. Mittlerweile ist es jedoch so das man so gut wie gar keine qualitativ hochwertige MTBs mit 26" bekommt. Mit 650B konnte ich mich dennoch schnell anfreunden, da ich beim fahren keine Nachteile verspürte. Mein altes 26" Enduro hatte eine recht ähnliche Geometrie wie das neue mit 650B und das Überrollverhalten ist minimal besser. In Sachen Agilität und Wendigkeit konnte ich keine echten spürbaren Unterschiede feststellen. 650B das beste aus 2 Welten, konnte ich für mich so gelten lassen, auch wenn der Unterschied ingesamt relativ gering ist.
650B war noch nie in jedem Segment vertreten
Der XC Bereich hat bei 650B noch nie eine große Rolle gespielt. Da es dort fast nur auf Effizienz und nicht auf das Fahrgefühl ankommt. Man hat keine Strecken, die technisch besonders anspruchsvoll wären. Man konzentriert sich rein aufs treten. Die großen 29er Laufräder überrollen Hindernisse leichter, dadurch geht weniger Energie verloren. Steil bergauf, hat man damit einfach mehr Traktion. Der einzige Nachteil ist hier das höhere Gewicht.
Im Billigsegment zählt nur der Preis, dort sind 26" nach wie vor vorhanden. In Ländern wie Indien, China, Afrika, Südamerika, Russland dürften nach wie vor noch viele 26" verkauft werden.
Durchgesetzt hat sich 650B bis jetzt nur im Premium Allmountain, Enduro und DH-Bereich. Dieser ist bezogen auf den Gesamtmarkt an Fahrrädern jedoch äußerst klein. Der gesamte MTB Bereich in Deutschland liegt selbst mit E-Bikes bei vielleicht 10-15%. Die allermeisten Laufräder auf der Welt sind derzeit 28" (29er) und immer noch 26".
Anfangsschwierigkeiten der 29er
Bei den 29ern gab es damals, als 26" noch aktuell war, Einschränkungen im Federweg. Niemanden war es so recht gelungen viel Federweg (>130mm) mit einer guten Kinematik unterzubringen. Deswegen wurde 650B als erstes im Trailbike und Allmountain Segment von 29er überrollt. Die Laufräder sahen damals ungewöhnlich groß aus, vielen hat es optisch nicht gefallen. Geht es in Europa primär nur um die Optik? In den USA wurde 29er schon viel früher aktzeptiert.
Schon damals unternahm ich Versuche mit einem Specialized Enduro 29er von 2014, welches mir jedoch vom Fahrverhalten und vor allem im Feeling nicht zusagte. Es fühlte sich nicht sehr agil und wendig an. Laut Industrie und Presse soll sich das heute massiv geändert haben. Die Nachteile der 29er seien völlig ausgebügelt worden, egal welche Körpergröße heisst es. Im Rennbereich fährt man fast ausschließlich 29er und was für Rennfahrer optimal ist, kann für alle nur das beste sein?
Mittlerweile gibt es im Endurobereich fast nur noch 29er als Neuerscheinungen und bei Allmountain/Trailbikes bis 140mm ist der Wechsel schon länger sehr deutlich zu sehen. So mancher Hersteller hat gar schon 650B nahezu komplett aus dem Sortiment gestrichen (Bergamont, BH Bikes), nur noch als nachträgliche Umrüstung für Plusreifen (Conway,Scott), keine normalen 650B ohne Plus (Bold) oder zur Kindergröße (BMC, Lapierre, Stevens) degradiert. Ausnahme ist hier Canyon, die das 29er Spectral sogar komplett gestrichen haben. Oder Propain die das Tyee weiterhin ausschließlich in 650B anbieten. Es gibt auch Hersteller (Centurion, Felt, Knolly) die dem ganzen aus dem Weg gehen wollen und die Größe nur in der Fußzeile erwähnen.
Der Test
Ich fragte mich was an dem Hype dran ist und bin 2 Std. lang mit hohen Erwartungen im Bikepark ein Pivot Firebird 29 probegefahren. Dieses Bike wurde von der Presse als das Non-Plus-Ultra angepriesen. So heisst es z.B.: "Mit dem Firebird 29 zelebriert man jede noch so kleine Kante als Einladung zum Spielen."
Da mein Bergamont Encore eine recht ähnliche Geometrie und ähnlich viel Federweg aufweist, sollte sich der Unterschied also maßgeblich auf die Laufräder beziehen. Auf der Strecke war dann wie schon erwartet, bei hoher Geschwindigkeit zu spüren, dass die Laufräder die Hindernisse etwas besser glatt bügelten. Ich hatte dabei jedoch subjektiv das Gefühl deutlich langsamer unterwegs zu sein, obwohl die Geschwindigkeit ähnlich war. Selbst wenn man damit schneller fahren könnte, der Spass bleibt auf der Strecke? In engen Kurven brauchte man sehr viel Nachdruck, es lenkte nur unwillig ein. Das überrollen von schwierigen Wurzeln gestaltet sich einfacher, fühlt sich aber wie ein Cheat an, der den Spielspass senkt. Man hatte das Gefühl einen Monstertruck zu fahren, wusste nicht wohin mit dem sperrigen Bike. Die Traktion der Räder war zwar besser, aber es ließ sich schlechter in die Luft befördern. Die Spritzigkeit und Agilität ist bei einem 650B einfach deutlich höher. Abschließend muss ich sagen das ich das Firebird 29 auch nicht wendiger als das Specialized Enduro fand, eher im Gegenteil.
Geometrie Vergleich
Schauen wir uns einmal an was bei dem modernen Rahmen alles relevante geändert wurde. Zusätzlich habe ich das aktuelle Enduro aufgeführt:
Specialized Enduro Comp 2014 L 155mm | Pivot Firebird 29 Pro M (High) 162mm | Specialized Enduro Pro 2018 M | |
Lenkwinkel | 66.5 | 65.5 | 66 |
Tretlagerhöhe | 351 | 354 | 354 |
Kettenstrebe | 419 | 429 | 433 |
Radstand | 1184 | 1227 | 1190 |
Reach | 457 | 460 | 440 |
Stack | 584 | 601 | 606 |
Vorbau | 75 | 45 | 50 |
Lenker | 750 | 800 | 800 |
Gabeloffset | 51 | 44 | 51 |
Positiv beim Firebird in Sachen Agilität, im Vergleich zum alten Enduro, fällt hier eigentlich nur der kürzere Vorbau auf. Dafür ist der Lenker wesentlich breiter. Der Rahmen vom Firebird ist in sämtlichen Punkten träger, was der abfahrtslastigen Auslegung geschuldet ist. Selbst beim Gabeloffset wurde ein trägeres Maß gewählt.
Auch beim neuen Enduro gibt es ausser dem kürzeren Reach (bedingt durch die kleinere Rahmengröße), nichts was das Bike agiler als den Vorgänger macht.
Man hat doch die Wahl?
Nun würde mich dies alles nicht stören, wenn man nach wie vor selbst die Wahl hätte beim Kauf. Aber es gibt doch heute eine Menge 650B Räder oder? Und in den Bikeparks sieht man wirklich gefühlt fast nur noch 650B. Ich habe allerdings eine Vorahnung, dass 650B von der Industrie in kürzester Zeit so gut wie vollständig verdrängt wird wenn das Geschäft mit 650B dieses Jahr zu knapp ausfällt. So wie 26" damals. Und damit bin ich nicht allein, in den Foren gibt es schon länger einige Stimmen dazu. Einige schon von Beginn an. Selbst im DH Bereich ist 29er schon vorgedrungen. Viele Räder werden mit der Option, beide Laufräder zu fahren, ausgeliefert. Also alles Paletti oder? Standardmäßig sind aber 29er montiert und man hat meist nur die Option 650B+ zu fahren. Plusbereifung ist aber nicht das was sich die Mehrheit wünscht und nur eine Randerscheinung. Da stellt man sich die Frage, welcher Käufer sollte da überhaupt noch freiwillig nachträglich umrüsten? Der kauft sich doch gleich das Rad passend.
Geplanter Lückenfüller?
Schon damals hatte ich den Eindruck das 650B nur herausgebracht wurde, um auf 29er wechselunwillige, zu etwas neuem zu bewegen. Ich stelle mir heute die Frage ob 650B von der Industrie schon zu Beginn nur als Lückenfüller geplant war? Wurde die Plusbereifung nur eingeführt um die Käuferschicht von 650B noch weiter zu verunsichern? Warum erst 3,0" und 2,8", jetzt nur noch 2,6" und das in kürzester Zeit? Um den Gewichtsnachteil wusste man doch schon von Anfang an, dass dieser problematisch sein würde. Wie bereits bekannt, war vor allem Europa 2013-2014 nicht großflächig bereit auf 29er umzuschwenken. Optisch zu uncool hieß es damals, dies wird heute geschickt kaschiert. Laut Industrie hat 29er heute das Potential 650B komplett abzulösen.
Das sagen die Hersteller
Canyon (2018): Viele werden sich wundern, dass es das neue Spectral wieder nur in 27,5” gibt. Auf unsere Frage hin hat Canyon klargestellt, dass sich beim Spectral alles um Fahrspaß dreht und man davon überzeugt ist, dass 27,5”-Laufräder mit 2,6”-Reifen für diesen Einsatzzweck am besten geeignet sind.
Giant (2014): Drei Punkte sprechen laut Giant für 27,5 Zoll: Gewicht, Effizienz und Kontrolle. In allen drei Punkten soll das neue Maß Vorteile gegenüber den anderen Laufradgrößen aufweisen.
GT (2018): Wir sind davon überzeugt, dass man mit 27,5ern eine breitere Masse an Fahrern erreichen kann, als mit auf EWS-Kurse maßgeschneiderte 29er. Aber selbstverständlich experimentieren auch wir mit unterschiedlichen Laufradgrößen herum.
Radon (2018): 29er gewinnen auf Enduro-Rennstrecken so langsam die Überhand, allerdings leidet der Fahrspaß häufig unter den trägen Laufrädern. Wer den Spaß seines Lebens mit Freunden im Wald oder Bikepark à la 50to01-Crew haben will, ist mir dem RADON JAB 9.0 HD sehr gut beraten. Als Highspeed-Racebike ist es jedoch eher ungeeignet, doch die verspielte Geometrie und das klasse Fahrwerk überzeugen auf ganzer Linie.
Scott (2012): Nach unseren internen Test bringt das Mittelmass enorm viele Vorteile und eigentlich keine Nachteile mit sich: Im Vergleich zu 26er überrollen die Laufräder Hindernisse eindeutig besser und weisen eine bessere Traktion als diese auf. Im Vergleich zu 29“ beschleunigen sie besser, in puncto Agilität lassen sie nichts vermissen – der minimale Gewichtsnachteil gegenüber 26“ Laufräder ist zu vernachlässigen.
Trek (2018): 27.5" mountain bikes are the most versatile wheel size option. The wheel size is playful on the trail making for a nimble mountain bike.
YT (2018): Das CAPRA 27 ist für alle, die nach der Wendigkeit eines Endurobikes mit den Reserven eines Downhillers suchen. Durch sein Mehr an Federwegsreserven liegt es so satt auf dem Trail wie ein echtes DH-Bike. Der flache Lenkwinkel und der lange Radstand sorgen für einen superstabilen Geradeauslauf, gleichzeitig hat es den extra kurzen Kettenstreben seine Sprungfreudigkeit, Agilität und seine ungezügelte Gier nach Kurven zu verdanken. Ohne Einschränkung eine kompromisslose Bergab-Maschine – mit der du keinen Lift mehr brauchst.
Mein Appell
Und nun egal ob es 26" oder 650B ist, meine Sorge ist, dass man in absehbarer Zukunft überhaupt keine kleineren Räder mehr bekommt. Erst rottet man 26" im Premiumsegment in kürzester Zeit aus und bringt 650B als Ersatz. Der Käufer denkt sich, da ist ja kaum Unterschied, also wird das genauso von 650B auf 29er sein. Nur das 650B eben nicht genau in der Mitte liegt, sondern wesentlich näher an 26" wie an 29er. Dies war ein weiterer Schachzug der Industrie und half sicherlich auch 650B enorm schnell einzuführen. Man könnte meinen der Verlauf der letzten 5 Jahre war schon von vornherein geschickt geplant und die Industrie wusste schon von Anfang an, dass es nur ein Lückenfüller bleiben würde.
650B kann wieder genauso schnell verschwinden wie es gekommen ist. Und das wäre sehr Schade. Der wahre Grund ist meiner Meinung nach nicht, dass die Industrie jedem das beste verkaufen möchte. Die unterschiedlichen Laufradgrößen sind ein Dorn im Auge. Es ist viel leichter nur noch einen Rahmen für eine Laufradgröße zu fertigen. Weniger Aufwand bedeutet Kosteneinsparungen in Entwicklung, Fertigung und Lagerhaltung. Das Sortiment soll in Zukunft viel knapper werden.
Anstatt nur auf Testberichte und Meinungen von Bekannten zu hören, sollten die Leute besser selbst entscheiden und vor allem ausprobieren was sie wirklich wollen. Dies bezieht sich vor allem auf den Gravity Bereich. Natürlich haben viele Käufer Angst etwas "veraltetes" zu kaufen. Dieser Eindruck wird noch künstlich verstärkt. Viele Hersteller hatten noch kein 29er Enduro im Programm hatten und es kommen zur Zeit massiv viele Neuerscheinungen. Aber hier sollte man sich fragen was einem wichtiger ist? Das man selbst möglichst viel Spass hat oder das man etwas politisch korrektes fährt? Und kommen im MTB Bereich nicht ohnehin ständig neue Standards? Die Räder sind in kürzester Zeit ohnehin veraltet. Ich denke auch das viele 29er Käufer sich beim Kauf gar nicht der Unterschiede im Fahrverhalten bewusst sind und es probieren wollen, weil es gerade so hip ist.
Wer 29er selber aus Überzeugung fahren möchte, der darf dies gerne tun. Ab einer gewissen Körpergröße macht das durchaus auch pauschal Sinn. Aber bitte nicht die Allgemeinheit davon überzeugen das 29er generell für jeden die bessere Größe ist. Das sollte jeder für sich selbst entscheiden. Ich denke das 2019 ein Jahr der Entscheidung wird und wir 2020 eine ganz erheblich eingeschränkte Vielfalt erleben werden. Boost wird dabei nur ein weiterer Fallstrick für 650B sein, da der Trend der dicken Reifen wieder erheblich abgeflacht ist (erst 3.0" und 2.8", jetzt nur noch 2.6"). Die Frage wird sein, ob dann 650B überhaupt noch im Sortiment sein wird.
Update 02/2020: Noch einige Hersteller bieten 2020 Neuerscheinungen oder aktualisierute Modelle an im AM/Enduro Segment z.B. Transition Scout, Calibre Bossnut, YT Yeffsy/Capra, Santa Cruz Nomad/Bronson, Trek Remedy, Yeti SB140/SB165, Kona Process 134/153, Ghost FR/SL AMR/Kato, Cube Stereo 140, Rocky Mountain Altitude/Thunderbolt, Banshee Rune V3/Spitfire, Knolly Warden/Delirium, Norco Sight, Evolve Alpha, Devinici Troy/Spartan, Commencal Clash, GT Force, Marin Hawk Hill/Mount Vision, Giant Trance 1, Focus Jam Seven, Canyon Spectral, Vitus Sommet/Mythique/Escarpe, Nukeproof Mega/Reactor, NS Bikes Snabb. Folgende Modelle nur in kleinen Rahmengrößen: Scott Spark 700, Cube Stereo 120
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