Decathlon GRVL 120
Das bezahlbare Gravel
Anfang des Jahres entschied ich mich dafür, ein günstiges Gravel zu kaufen. Da der Gebrauchtmarkt nichts hergibt, schaute ich nach den günstigsten Modellen. Zur Auswahl standen das GRVL 120 für damals 630€ oder Cube Nuroad für 899€. Beim Cube lag ich leider genau zwischen S und M und die Kettenstrebe kam mir mit 439.5mm etwas lang vor. Von der Ausstattung hat es nur 8fach Schaltung und ist auch nicht leichter. Die niedrigste Übersetzung ist mit 34 vorn und 34 hinten auch nicht sehr berggängig, da hätte man die komplette Schaltung tauschen müssen.
Lieferung
Das Rad kam in einem ziemlich riesigen Karton, der beim Transport leider beschädigt wurde und oben offen war. Zum Glück war nur eine Schraube vom Vorbau etwas beschädigt. Die gelieferte Montagequalität, ist für die Preisklasse gar nicht so übel. Vor allem die Schaltung, verlangte jedoch nach Nachjustage.
Rahmen und Geometrie
Der Rahmen wiegt 1,8kg in Größe M und ist relativ schwer aber hoffentlich robust, da immerhin 6061 T6. Das Schaltauge lässt sich nicht tauschen aber Alurahmen haben bei Decathlon lebenslange Garantie. Das Steuerrohr ist relativ lang und für komfortables fahren ausgelegt. Auffällig bei der Geometrie ist auch, das größere Modelle im wesentlichen nur in der Höhe und nicht in der Länge wachsen.
Kommen wir gleich zum größten Nachteil bei diesem Rad. Es wird als Gravel verkauft, handelt sich aber mehr um ein Allroad/CX wegen dem kurzem Radstand (1005 bei M) und dem steilen Lenkwinkel. 72.5° bei Größe M und 73° LW ab Größe L sind schon ziemlich steil aber machen das Rad sehr wendig. Das rührt daher, dass der gleiche Rahmen auch beim Triban RC 100 Rennrad verwendet wird.
Achtung, im folgenden Absatz wird es sehr technisch und ich möchte auch die Folgen der Geometrie aufzeigen. Die Gabel hat mit ca. 45mm relativ wenig Offset, d.h. nur geringe Vorbiegung für ein Gravel und sorgt nicht nur dafür das das Vorderrad näher Richtung Pedale wandert, sondern hat wegen dem steilen LW einen Trail (ca. 64mm bei M und 61mm bei L) der mit Rennrädern vergleichbar ist. Üblich bei Gravel sind heute 50-55mm Offset, bei 70° LW mit ca 70mm Trail. Je größer der Trailwert, desto indirekter wird jedoch auch die Lenkung. Mehr Offset reduziert den Trailwert. Durch diese Umstände resultiert der kurze Front to Center von 580mm bei Größe M, welcher leider für reichlich Toe Overlap sorgt. Daher habe ich lange überlegt ob ich mit 1,76 nicht Größe L nehmen sollte, jedoch wachsen die größeren Rahmen vor allem in die Höhe und ich hätte einen viel kürzeren (80mm) Vorbau benötigt, da das Oberrohr länger wäre. Größe L hat mit Front to Center 590mm immer noch relativ viel Toe Overlap, man sagt das dieser Wert mindestens 600mm betragen sollte. Deswegen habe ich dann für Größe M entschieden. Beim fahren auf der Straße fällt Toe Overlap letztendlich nur bei sehr engen Kurven auf, die man nur langsam fährt z.B. bei Drängelgitter aber im Gelände hat man damit häufiger zu kämpfen, wenn man Trails fahren möchte. Oder wenn man Schutzbleche montieren wollte, würde es vermutlich schon sehr störend sein.
Theoretisch ließe sich dieser Umstand durch Winkelsteuersatz und Gabel mit mehr Offset beseitigen. Doch ist dies nicht nur teuer, es gibt bei so langem Steuerrohr keine passenden Winkelsteuersätze und man müsste unten eine Schale mit EC verwenden. Innen scheint das Steuerrohr zumindest Platz für eine Gabel mit Tapered zu haben. Würde man nur den Steuersatz ändern, käme nur mit 2° flacherem Steuersatz ein viel zu großer Trailwert von 77mm heraus und nur mit einer anderen Gabel mit 55mm Offset, wären es mit 54mm Trail zu wenig Trail. Und jede einzelne Lösung hätte dann trotzdem wieder Toe Overlap. Hier eine Seite auf der man sich den Trail berechnen kann: http://yojimg.net/bike/web_tools/trailcalc.php und hier eine Erklärung zu Offset und Trail: https://www.rodbikes.com/articles/phinney-fork/rake-trail-gravel-bikes.html.
Fahrverhalten und Komfort
Das Rad fühlt sich durch die Geometrie eher nach einem Rennrad mit Übergewicht an, als nach einem reinrassigen Gravel das fürs Gelände getrimmt ist. Die schweren Laufräder fühlen sich sehr stabil an und dürften etwas Komfort kosten. Aufgrund von kurzem Radstand und steilem Lenkwinkel fühlt es sich sehr wendig an. Steil bergab und im Gelände fühlt man sich dagegen eher unsicher. In Sachen Komfort ist es deutlich unbequemer als ein MTB, daher wird es hauptsächlich auf der Straße bewegt. Ich habe auch relativ schnell einen gefederten Vorbau und eine Sattelstütze mit mehr Flex nachgerüstet.
Einzelne Komponenten
Gabel
Es handelt sich um eine 750g schwere Carbon Gabel mit mit Schaft aus Alu, die seitlich nur 1 Befestigungsloch hat. Die Reifenfreiheit beträgt ca. 700x42. Beim klopfen hört man das bei den Gabelscheiden im oberen drittel noch ein Alukern sein muss. Der Offset beträgt ca. 45mm und entspricht dem eines Rennrades. Wenn man das Laufrad ein- und ausbaut kommt es leider häufig vor, das die Bremse schleift weil das Laufrad wohl immer etwas anders geklemmt wird.
Schaltung
Montiert ist eine 10fach Microshift XLE ohne Umwerfer und ich war positiv überrascht von Genauigkeit und Schnelligkeit beim schalten. Für die derart niedrige Preisklasse bietet die Schaltung eine starke Leistung. Das einzige was vielleicht negativ auffällt, das die Schalthülle nicht im Lenker verläuft und etwas bei breiteren Lenkertaschen stört. Mittels V-Brake Kabelführung lässt sich dieser Umstand aber beheben. Hinten ist eine 11-42 Kassette verbaut, die mit ca. 535g nicht die leichteste ist, aber beim schalten einer Shimano nicht viel nachsteht. Die Gangsprünge (11–13–15–17–21–24–28–32–36–42) sind im mittleren bis letzten Drittel gerade noch so aktzeptabel mit einem 34er Kettenblatt. Mit dem 38er Standard Kettenblatt, werden diese womöglich etwas zu groß sein. Schaltwerk ist ein RD-M665M welches für 10/11fach und max. 11-46 ausgelegt ist. Sogar eine Kupplung ist dort enthalten und es ist mit Shimano Dynasys kompatibel bei der Anlenkung. Wenn man die B-Schraube bei den kleinen Ritzeln optimal einstellt, merkt man schon das beim schalten von 36 auf 42 der Sprung zu groß ist und man die B-Schraube noch weiter eindrehen muss. Daher würde ich keine Kassette empfehlen die einen Sprung größer als 6 hat, dies liegt am Offset der oberen Schaltrolle welcher bei MTB Schaltwerken noch höher ist. Eine 10-48 AdventX Kassette würde ich daher nicht empfehlen, da diese einen 8er Sprung hat von 40 auf 48. Besser wäre hier z.B. eine Sunrace MX3 11-46 wenn die Bandbreite nicht ausreicht. Kette ist eine X10 von KMC, die nicht für ihre Haltbarkeit bekannt sind. Kleiner Tip: Wer das Rad günstig mit Umwerfer aufrüsten möchte, der sollte sich mal den linken Schaltbremshebel von Micronew ansehen, welcher sehr ähnlich ist. Zu beachten gilt auch, das Road Umwerfer anders angelenkt sind als MTB Umwerfer. Bei einem Road Shifter würde ein MTB Umwerfer zuwenig Weg zurücklegen beim schalten.
Kurbel und Pedale
Die Kurbel sieht auf dem ersten Blick wie Stahl aus, ist aber trotz Alu vergleichsweise schwer mit einem 4kant Patronenlager. Das 38er Kettenblatt lässt sich nicht einzeln wechseln. Da ich noch eine Race Face Aeffect Kurbel über hatte, entschied ich mich diese mit einem 34er Kettenblatt zu montieren. Und für mich ist dies völlig ausreichend, bei Gefälle trete ich sowieso nicht mehr und will keine Rennen damit fahren, sondern komfortabel reisen. Die mitgelieferten Pedale sind so ziemlich das günstigste was es gibt, sind etwas klein und haben schlechten Halt, diese werde ich aber erstmal fahren.
Laufräder und Reifen
Die Speichen mussten etwas auf Spannung gebracht werden, dies ist leider bei vielen Einstiegslaufrädern so. Beim Hinterrad ist mir aufgefallen das der Hutchinson Reifen nicht ganz rund läuft, weil die Lauffläche uneben ist. Es handelt sich um Hutchinson Overide 38, die mit 500g etwas schwer ausfallen aber sich auch mit erfreulich wenig Druck (2bar) noch fahren lassen, dafür ist der Rollwiderstand auf Asphalt dann etwas höher. Es fällt allerdings auf, dass ein Tufo Speedero bei gleichem Druck deutlich komfortabler ist aber sich auch nicht wesentlich schneller anfühlt. Bei den Felgen wurde früher oft bemängelt das sich die Reifen zu schwer montieren lassen, bei mir ist genau das Gegenteil der Fall. Es handelt sich um eine RTE JD182 mit 23C Maulweite und die Reifen sitzen so locker, das man zur Montage keinen Reifenheber benötigt. Die Reifen lassen sich derart einfach demontieren, indem man beide Reifenflanken gleichzeitig von der Felge drücken kann. Resultierend dadurch ist, dass die Reifen im Tubeless Setup beim fahren Luft verlieren und sich nur mit Kompressor und dickem Schlauch aufpumpen lassen, wenn der Ventileinsatz herausgeschraubt ist. 2 weitere Lagen Tesa 4289 brachten ein wenig Abhilfe, zumindest verlieren die Reifen nicht mehr soviel Luft. Die Tufo Reifen lassen sich sogar ohne Kompressor montieren und halten die Luft deutlich besser. Bei den Naben ist zu sagen das diese wie die Felgen (565g) ziemlich schwer sind (263+462g), wodurch das hohe Gesamtgewicht von 2,3kg resultiert. Bei der hinteren Nabe hört man wenigen KM auch schon die ersten Geräusche, die Lagerung (vermutlich Freilauf) wird nicht die beste und wohl sparsam geschmiert sein. Der Freilauf ist auch nicht für 11fach Rennrad Kassetten geeignet, da es sich um eine MTB Nabe mit 1.85mm kürzerem Freilauf handelt.
Bremsen
Die Promax DSK 300 bzw. 330 Bremsen und ähnliche mechanische Bremsen werden oftmals bemängelt, es handelt sich um mechanische Bremsen mit nur einem angesteuerten Kolben. Bei zunehmenden Verschleiss der Beläge, muss daher der Kolben auf der Gegenseite manuell nachgesteuert werden. Aufgefallen ist mir auch das es nicht einfach ist die Bremsen mit neuen Belägen schleiffrei zu bekommen. Auch verstellt sich mit Schnellspanner, anders als mit Steckachse die Einstellung oft, wenn man das Laufrad neu montiert. Positiv ist das Decathlon bereits Antikompressionshüllen KEB-SL von Jagwire montiert, welche für einen härteren Druckpunkt sorgen. Bei der Bremskraft hatte ich persönlich noch keine Probleme, was vielleicht daher kommt das ich mit dem MTB wesentlich steilere Sachen fahre. Unüblich ist auch das die Bremsen an der Gabel den Flatmount Standard haben, während es am Rahmen Postmount ist. Hier merkt man dann letztendlich in welcher Preiskategorie man ist. Wer nicht gleich in teure TRP HY/RD investieren will, der hat die Möglichkeit semi hydraulische Zoom Xtech HB100/HB105 zu montieren. Ebenso wären TRP Spyre eine Alternative, welche aber auch nicht ganz günstig sind und einem letzendlich nur das nachjustieren ersparen.
Sattel und Sattelstütze
Der Sattel ist mit 125mm relativ schmal und sieht dem Fizik Arione sehr ähnlich. Der Sitzkomfort ist für mich durchaus aktzeptabel. Die Sattelstütze habe ich recht bald durch einen Nachbau der Ergon CF3/Canyon VCLS ersetzt, die es in China für ca. 50€ gibt. Zu dieser ist jedoch zu sagen das diese mit deutlichem Untermaß kommt und zusammen mit dem üblichen Übermaß im Sattelrohr auf keinen Fall so verbaut werden sollte. Ich habe daher auf Blech einer Bierdose zurückgegriffen und mir 2 Hülsen ausgeschnitten die ich als Spacer nutze. Damit das Blech nicht im Sattelrohr verschwindet, habe ich es an der Kante eingeschnitten und dann umgeschlagen damit es von der Sattelklemme fixiert wird. Damit die 2 Hälften der Stütze nicht verrutschen, was beim Original auch oft vorkommt, habe ich diese mit dünnem Tesa Foto Doppelklebeband verbunden. Bis jetzt hält die Stütze und bietet auch deutlich mehr Komfort.
Lenker und Vorbau
Der Lenker ist von der Form gar nicht so übel, anfangs fand ich die 16° flare etwas zu hoch aber das ist scheinbar Gewöhnungssache. Der Lenker hat oben 43,5cm mitte-mitte und an den Enden 51,5cm. Die Schaltbremshebel habe ich etwas nach innen gedreht passend zu den auslaufenden Lenkerenden. Der Vorbau hat 90mm bei M und passt ziemlich gut, dieser wurde durch einen Reshift Shockstop ersetzt, den ich gebraucht erhalten habe. Es gibt davon auch eine Kopie aus China, die jedoch unüblich viel Spiel und eine falsche Schraube aufweisen soll.
Fazit
Mehr Allroad als Gravel, dafür mit komfortablen Reifen. Schwächen gibt es bei der Geometrie mit reichlich Toe Overlap, der mich persönlich nicht so stört, da ich nur Straße und Schotterwege fahre. Dadurch fallen auch die eher schwachen Bremsen nicht so ins Gewicht. Einschränkungen gibt es bei bei den Laufrädern im Tubeless Betrieb und bei der Kurbel mit dem nicht tauschbaren Kettenblatt. Der aktuelle Preis von 699€ ist nicht mehr so ein Schnäppchen wie früher (599€), jedoch gibt es in dieser Preisklasse nichts vergleichbares. Das Gewicht von 10,9kg geht für den Preis voll in Ordnung und lässt sich Tausch von Kurbel, Reifen und Tubelessumrüstung deutlich senken. So habe ich alleine damit 600g eingespart. Bei den Laufrädern sind weitere 500g durchaus realistisch.
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